Religiöse Themen verlieren an Zugkraft bei indischen Wahlen
Indiens Premierminister Narendra Modi und seine Bharatiya Janata Party (BJP) haben bei den jüngsten Parlamentswahlen in ihren traditionellen Hochburgen deutliche Verluste erlitten. Trotz des symbolträchtigen Neubaus des Ram-Tempels in Ayodhya, einem bedeutenden Ort für Hindus, konnten religiöse Themen die Wähler nicht mobilisieren.
Der Bau des Ram-Tempels in Ayodhya wurde von Modi selbst initiiert und gilt als eines der zentralen Projekte der BJP. Doch selbst in der Tempelstadt und dem umliegenden Bundesstaat Uttar Pradesh hat die BJP massiv an Unterstützung verloren. Bei der letzten Wahl gewann die Partei hier nur 33 von 80 Sitzen, im Vergleich zu 63 Sitzen im Jahr 2019.
“Wir haben es Modi zu verdanken, dass der Tempel gebaut wurde”, sagt der 42-jährige Pilger Anil Pathade.
Doch die Unzufriedenheit in der Region ist spürbar. Laut einer Umfrage gaben nur acht Prozent der Befragten an, dass der Tempel ihre Wahlentscheidung beeinflusst hat. Viel wichtiger waren Themen wie Arbeitslosigkeit und Inflation. Diese Probleme führten zu erheblichen Verlusten der BJP im Unterhaus, wo sie über 60 Sitze und damit die absolute Mehrheit verlor. Ihre Koalition hält nun 293 der 543 Sitze, während das neue Oppositionsbündnis 233 Sitze errang.
Der Lokaljournalist Vishnu Niwas Das kommentiert:
“Die BJP war zu selbstsicher. Sie dachten, Modi und der Ram-Tempel würden die Wähler anziehen. Aber die Menschen sind mit ihren existenziellen Sorgen beschäftigt.”
Tatsächlich zeigt eine Analyse, dass die BJP besonders viele ländliche Wahlkreise verloren hat. In den Dörfern rund um Ayodhya berichten viele Bewohner von ihrer schwierigen Lebenssituation.
“Die Arbeitssituation hier ist sehr schlecht”, sagt der Bauer Brajesh Kumar.
Viele Bauern müssen zusätzliche Einkommensquellen suchen, da die Landwirtschaft allein nicht mehr ausreicht. Besonders junge Menschen mit Bildung sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie versuchen, einen der begehrten Regierungsjobs zu ergattern, doch die Konkurrenz ist enorm.
Der 29-jährige Mukesh Paswan sucht seit fast einem Jahrzehnt eine Anstellung als Lehrer.
“Ich muss etwas tun, damit ich den Haushalt bestreiten kann”, sagt er.
Indien hat eine junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von unter 30 Jahren. Doch trotz hoher Wachstumsraten und einem erfolgreichen Bildungssystem konnte das Land bisher keine ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten durch Industrialisierung schaffen.
Ein weiteres Problem ist das Schlachtverbot für Kühe in Uttar Pradesh, das zu großen Ernteschäden durch streunende Tiere geführt hat. Viele Wähler kritisieren auch die Ausgrenzung der Muslime durch die Hindunationalisten, die die Gesellschaft spaltet. Die Opposition warf der Regierung vor, eine Dreiviertelmehrheit anzustreben, um die Verfassung zu ändern.
Die Auswirkungen der Tempelmodernisierung in Ayodhya sind ebenfalls umstritten. Viele Geschäfte und Häuser wurden bei der Umgestaltung der Stadt zerstört.
“Die Wähler mussten die Folgen tragen. Viele haben ihren Lebensunterhalt verloren”, sagt Journalist.
Die 40-jährige Soni Sonkar, die am Tempel Fruchtsaft verkauft, berichtet, dass Bulldozer die Hälfte ihres Hauses zerstört hätten.
“Das Geld, mit dem wir entschädigt wurden, war viel zu wenig”, sagt sie.
Der 20-jährige BJP-Anhänger Shivam Yadav äußert sich kritisch:
“Modi hat die Jugend, die Arbeitslosen, die Bauern und die Inflation vergessen. Wenn er daraus nicht lernt, werde ich beim nächsten Mal nicht mehr für ihn stimmen.”