Hindu-Nationalismus in Indien: Ein Jahrzehnt der Spannungen

Ayodhya und die zerstörte Babri-Moschee: Ein Rückblick auf 30 Jahre Konflikt

In Ayodhya, einer Stadt im Norden Indiens, hat sich vor 30 Jahren ein Ereignis zugetragen, das bis heute für religiöse Spannungen sorgt. Kamlendra Kumar Tripathi, ein stolzer Anhänger der Hindu-Nationalisten, erinnert sich gerne an den Tag, an dem er und Tausende andere Hindus die Babri-Moschee dem Erdboden gleichmachten. Mit seinem Gehstock als Stütze und dem Blick auf die Baustelle des neuen Ram-Tempels spricht der 55-Jährige von Gerechtigkeit und Stolz.

Am 6. Dezember 1992 stürmten Hindu-Nationalisten die Babri-Moschee in Ayodhya und zerstörten sie. Tripathi war einer der vielen, die damals mit Eisenstangen und Stöcken die Mauern und die Kuppel der Moschee einrissen.

„Es fühlt sich gut an, mich an den Tag zu erinnern“, sagt er. „Was rechtmäßig uns gehörte, haben wir uns zurückgeholt.“

Diese Aktion führte zu einer Wiederbelebung der religiösen Spannungen in Indien und war ein Wendepunkt für die heutige Regierungspartei BJP, die sich von einer Randgruppe zur dominierenden politischen Macht entwickelte.

Der derzeitige Premierminister Narendra Modi nutzt den Tempelbau als politisches Werkzeug, um seine dritte Amtszeit zu sichern. Im Januar 2024 übernahm Modi selbst die rituelle Einweihung des halb fertigen Tempels – ein symbolischer Akt, der seine politischen Ambitionen untermauert. Er behauptet, dass die Opposition den Hindus ihren Tempel wieder wegnehmen würde, sollte sie die Wahl gewinnen.

Die Geschichte von Ayodhya ist von religiösen Spannungen geprägt. Viele Hindus glauben, dass die Babri-Moschee auf den Überresten eines alten Tempels errichtet wurde, der dem Hindu-Gott Ram gewidmet war. Obwohl historische Belege fehlen, zeigte ein archäologisches Gutachten aus dem Jahr 2003 Überreste eines etwa 1.000 Jahre alten Tempels unter der Moschee. Seit der Unabhängigkeit Indiens und der Teilung in Indien und Pakistan ist Ayodhya ein Symbol für die Spannungen zwischen Hindus und Muslimen.

In den achtziger Jahren forderten hindu-nationalistische Gruppen einen Tempel anstelle der Moschee. Die BJP, die sich diesen Forderungen anschloss, stieg politisch auf. Die Moscheezerstörung von 1992 war ein entscheidender Moment für die Partei. Gewalt und Unruhen folgten in ganz Indien, Tausende Menschen starben. Tripathi empfindet kein Bedauern:

„Der Tempel sei nun endlich Wirklichkeit.“

Die jungen Muslime in Ayodhya, wie Majid Khan, Ansar Ali und Ashraf, sehen die politische Situation kritisch. Sie wünschen sich Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung, doch die Regierung spricht nur über Religion.

„Wir lernen schon als Kinder, dass jene dem Islam treu bleiben, die Indien treu bleiben. Aber die Leute denken, wir seien Verräter“, sagt Ashraf.

Die Spaltung der Gesellschaft durch Modi sei ein Hindernis für den Fortschritt Indiens. Nach Ayodhya sind nun Moscheen in Varanasi und Mathura die nächsten Ziele der Hindu-Nationalisten.

„Ayodhya war bloß der Anfang, Varanasi und Mathura fehlen noch“, skandieren BJP-Anhänger regelmäßig.

Tripathi selbst kann aufgrund seiner Gesundheit nicht mehr teilnehmen, doch er plant, die Kinder zu schicken. Seine Tochter Harshita zeigt sich entschlossen:

„Natürlich, wenn es so weit ist, werde ich keine Minute lang zögern.“

Indien steht vor einer Wahl, die nicht nur politisch, sondern auch religiös entscheidend sein wird. Die kommenden Monate werden zeigen, wie tief die Wunden des Landes wirklich sind.

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