Ultraorthodoxe nicht mehr vom Wehrdienst befreit

Der Oberste Gerichtshof in Israel hat entschieden, dass ultraorthodoxe Männer nicht länger vom Wehrdienst befreit sind. Diese Entscheidung könnte weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen haben.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Jerusalem, das ultraorthodoxen Männern die Befreiung vom Wehrdienst entzieht, trifft Israel tief. Bisher wurden diese Männer von der Armee freigestellt, wenn sie in religiösen Akademien die Bibel studierten. Zudem soll der Staat keine finanziellen Anreize wie Stipendien mehr für solche Studien gewähren. Diese Entscheidung könnte die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu ins Wanken bringen und die israelische Gesellschaft weiter spalten.

Politisch ist die Entscheidung ein schwerer Schlag für Netanjahus Koalition, die von religiösen Parteien und Rechtsextremisten getragen wird. Diese Parteien lehnen die Zwangsrekrutierung ultraorthodoxer Männer strikt ab. Sie werden Druck auf Netanjahu ausüben, gesetzgeberische oder administrative Schlupflöcher zu finden, um die Umsetzung des Urteils zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Oppositionsführer Jair Lapid erklärte: “Seit heute Morgen ist die Rekrutierung der Ultraorthodoxen gesetzlich vorgeschrieben. Wer dem Gesetz nicht Folge leistet, begeht Verrat an den Soldaten der israelischen Streitkräfte und Verrat an den Reservisten.”

Diese Worte verdeutlichen die gesellschaftliche Brisanz der Entscheidung und den enormen Druck auf die Regierung.

Die Diskussion um den Wehrdienst der Ultraorthodoxen ist mehr als nur ein politisches Thema; sie spiegelt tiefe gesellschaftliche Brüche wider. Israels erster Premierminister, David Ben-Gurion, hatte den Ultraorthodoxen die Befreiung vom Wehrdienst gewährt, weil er sie als eine historische Randgruppe ansah. Heute machen sie jedoch 13 Prozent der Bevölkerung aus und sind politisch einflussreich.

In der säkularen und gemäßigt religiösen Mehrheitsgesellschaft wächst der Unmut über die Privilegien der Ultraorthodoxen. Viele empfinden es als ungerecht, dass ihre eigenen Kinder kämpfen und sterben müssen, während ultraorthodoxe Männer in Sicherheit die Bibel studieren und dafür bezahlt werden. Die Ultraorthodoxen sehen hingegen im Respekt vor dem göttlichen Gesetz das Fundament des Staates Israel und betrachten das Studium der Bibel als patriotische Pflicht.

Es ist unklar, wie Netanjahu und seine Koalition auf das Urteil reagieren werden. Sollten die religiösen Parteien aus der Koalition austreten, könnte die Regierung stürzen. Auch ein Verbleib der religiösen Parteien in der Koalition könnte problematisch sein, da dies zu einem inneren Zerfall führen könnte. Netanjahus politische Situation ist ohnehin prekär, nicht zuletzt aufgrund des Gaza-Kriegs und der Spannungen mit der Biden-Administration.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs hat die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion in Israel neu entfacht und könnte die Spannungen weiter verschärfen. Die Zukunft des Landes hängt nun von der Fähigkeit seiner politischen Führer ab, eine Lösung für diese tiefgreifenden Konflikte zu finden.

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