Hartmut von Sass erläutert, wie Atheismus und Glaube miteinander vereinbar sind
Der Berliner Theologe Hartmut von Sass sorgt mit seinem neuen Buch “Atheistisch Glauben” für Aufsehen. Er vertritt die These, dass Atheismus und Glaube nicht im Widerspruch zueinander stehen. Im Interview mit DOMRADIO.DE erklärt der Theologe, wie dieser scheinbare Widerspruch aufgelöst werden kann.
Von Sass, Titularprofessor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Humboldt-Universität, analysiert den Begriff des Atheismus seit der Aufklärung. Der traditionelle Gottesbegriff, der den Gott als allmächtigen Lenker der Welt beschreibt, verliert in unserer säkularen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Dadurch verschwindet auch der herkömmliche Atheismus aus den Diskussionen. Von Sass unterscheidet hier zwischen Atheismus und Unglauben:
“Ungläubig Glauben – das wäre tatsächlich Unsinn.”
In der modernen Welt existiert Gott für viele als ein vages, unbestimmtes Konzept. Von Sass schlägt vor, sich von der Vorstellung eines personalisierten, allmächtigen Gottes zu verabschieden. Dies würde auch die schwierige Theodizee-Frage – warum ein allmächtiger Gott Leid in der Welt zulässt – entschärfen. Stattdessen sieht der Theologe eine Art des atmosphärischen Geistes, der den Menschen umgeben kann.
In der Bibel findet von Sass zahlreiche Beispiele für vielfältige Gottesbegriffe. Er verweist auf Jesus am Kreuz, der ruft:
“Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.”
Dieses Zitat interpretiert der Spezialist als eine Form des atheistischen Glaubens. Von Sass ist überzeugt, dass die Bibel auch heute Wege zum Glauben aufzeigen kann, selbst in einer säkularen Welt.
Der Theologe betont, dass ein religiöser Glaube ein bewusstes Entscheiden für ein Bezugssystem erfordert. Er zitiert den Philosophen Ludwig Wittgenstein:
“Ein religiöser Glaube ist wie ein leidenschaftliches Sich-entscheiden für ein Bezugssystem.”
In diesem System müsse man sich dem Glauben überlassen, als wäre es ein Geschenk.
Von Sass lädt mit seinem Buch “Atheistisch Glauben” dazu ein, neu über Gott und Glauben nachzudenken. Er fordert dazu auf, sich von traditionellen Gottesbildern zu lösen und einen Glauben zu entwickeln, der mit unserer säkularen Welt vereinbar ist.
