Erfurt – Eine Stadt als Symbol für den Wandel des Christentums in Deutschland.
Nächste Woche findet in Erfurt der Katholikentag 2024 statt. Die thüringische Landeshauptstadt, bekannt für ihre historische Altstadt und das Erfurter Domensemble, wird für einige Tage zum Zentrum des katholischen Lebens in Deutschland. Doch diese Veranstaltung hat eine tiefere Bedeutung: Sie spiegelt die Herausforderungen und Zukunftsaussichten der Kirchen in einem zunehmend säkularisierten Deutschland wider.
Im ostdeutschen Raum, zu dem auch Erfurt gehört, sind Christen längst eine Minderheit. Eine Studie der Universität Chicago identifizierte Ostdeutschland vor einigen Jahren als die weltweit ungläubigste Region. Hier sind nur noch wenige Menschen Mitglieder einer Kirche, und noch seltener lassen Eltern ihre Kinder taufen. Viele historische Kirchengebäude stehen leer und verfallen.
Trotz dieser düsteren Statistiken will die Kirche nicht resignieren. Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sieht im Osten Deutschlands ein „Zukunftslabor“ für die Kirche. Er bewundert, wie die Christen dort ihre Diaspora-Situation annehmen und optimistisch in die Zukunft blicken. Bätzing betont, dass eine schrumpfende Zahl von Gläubigen nicht zwangsläufig zu Isolation und Elitarismus führen muss. Vielmehr könnten Christen durch ihr Engagement und ihre Werte auch Nicht-Gläubigen Orientierung bieten.
Die Erosion der religiösen Bedeutung
Der ostdeutsche Kontext zeigt eine deutliche Trennung zwischen Spiritualität und institutionalisierter Religion. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, selbst ein gläubiger Christ, verweist auf die zunehmende Unabhängigkeit spiritueller Bedürfnisse von kirchlichen Strukturen. Diese Entwicklung ist nicht auf den Osten beschränkt. Auch im Westen Deutschlands wird Religion immer weniger als notwendig für das gesellschaftliche Leben empfunden. Die Zahlen bestätigen dies: Ende 2022 lebten in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin nur noch rund 800.000 der deutschlandweit knapp 20,9 Millionen Katholiken. Ihr Anteil an der Bevölkerung lag zwischen 3,1 Prozent in Sachsen-Anhalt und 7,5 Prozent in Berlin.
Die Evangelische Kirche hat im Osten eine etwas größere Präsenz. Etwa 2,3 Millionen der bundesweit rund 19,2 Millionen Kirchenmitglieder leben in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Doch auch hier sind mehr als acht von zehn Menschen konfessionslos.
Historische und soziale Ursachen
Die niedrigen Zahlen lassen sich auf die historischen Erfahrungen der Region zurückführen. Sowohl das NS-Regime als auch die SED-Diktatur verfolgten antireligiöse Politiken, die nachhaltige Spuren hinterließen. Gert Pickel, Religions- und Kirchensoziologe, erklärt, dass der Kirchenkontakt vieler Menschen in der DDR sehr begrenzt war. Diese Traditionslosigkeit wurde an die nächsten Generationen weitergegeben, die kaum noch Berührungspunkte mit Religion haben.
Zusätzlich verändern sich die sozialen Strukturen: Menschen sind mobiler und weniger in lokalen Gemeinschaften verwurzelt. Die Bedeutung von Religion schwindet in einem Alltag, der von Freizeitaktivitäten und Familienleben dominiert wird. Die Universität Freiburg prognostiziert in einer 2019 veröffentlichten Studie, dass die Zahl der Kirchenmitglieder deutschlandweit bis 2060 auf 22,7 Millionen schrumpfen wird – etwas mehr als die Hälfte der Mitgliederzahl von 2022. Im Osten Deutschlands könnten die beiden großen christlichen Kirchen dann nur noch 1,5 Millionen Mitglieder zählen.
Zukunft der Kirche: Soziale Verantwortung und Zusammenhalt
Trotz der rückläufigen Mitgliederzahlen sieht der Kirchenhistoriker Jörg Seiler eine Zukunft für die Kirche. Solange das System der Kirchensteuer und staatlichen Finanzierungen besteht, wird die institutionelle Struktur der Kirche nicht zusammenbrechen. Seiler betont jedoch, dass die Kirche ihre Rolle neu definieren muss. Neben der Seelsorge sollte sie sich verstärkt auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt konzentrieren und Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit liefern. Nur so kann sie weiterhin eine relevante und unterstützte Institution bleiben.
Auch bei großen Veranstaltungen wie dem Katholikentag suchen viele Menschen nach Antworten auf gesellschaftliche und globale Herausforderungen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verweist auf die zentrale Bedeutung von Frieden als Thema des Katholikentags, das in Zeiten des Krieges viele Menschen bewegt. Dieser Wunsch nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit unterstreicht die fortwährende Relevanz der Kirche in einer sich wandelnden Welt.
Erfurt steht beispielhaft für den tiefgreifenden Wandel, den die Kirchen in Deutschland durchlaufen. Der Katholikentag 2024 bietet nicht nur eine Gelegenheit zur Reflexion, sondern auch einen Blick auf mögliche Zukunftsperspektiven für das Christentum in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft. Während die Zahlen der Gläubigen sinken, bleibt die Kirche durch soziale Verantwortung und Engagement ein wichtiger Akteur in der Gesellschaft.