Neue Kulte während der Revolution
In der Zeit der Französischen Revolution wurden Versuche unternommen, neue, von christlichen Traditionen unabhängige Revolutionskultur zu schaffen. Der Kult der Vernunft, in dem eine allegorische Göttin der Vernunft verehrt wurde, war eine dieser Neuschöpfungen. Maximilien de Robespierre sah in dieser Göttin eine Parallele zur ägyptischen Göttin Isis. Gleichzeitig entstand der deistische Kult des höchsten Wesens. Diese Bewegungen stellten einen Bruch mit der etablierten christlichen Religion dar und waren stark von antikem Gedankengut beeinflusst.
Romantik und Klassik: Rückgriff auf antike Mythologien
Im Zeitalter der Klassik und Romantik erlebten die griechisch-römischen Mythologien eine Wiedergeburt. Der britische Neuplatoniker Thomas Taylor, ein offener Kritiker des Christentums, forderte eine Wiederbelebung heidnischer Spiritualität und platonischer Theurgie. Diese Ideen gaben der neuheidnischen Bewegung des 19. Jahrhunderts starken Auftrieb. In Großbritannien schlossen sich Dichter und Künstler den Druidenorden an, die anfangs pantheistische und universalistische Ideen vertraten, später jedoch stark von keltischer Mythologie beeinflusst wurden.
Einflussreiche Persönlichkeiten und deren Beiträge
Bekannte Persönlichkeiten dieser Zeit, wie William Butler Yeats, Maud Gonne und Arthur Edward Waite, beschäftigten sich intensiv mit einer Mischung aus Romantik, Mythologie und Okkultismus. Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine integrierten hellenistische Religion und pantheistische Ideen in ihre Werke. Auch Friedrich Nietzsche zeigte in seinem Werk “Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik” heidnische Einflüsse und kündigte die Rückkehr der Götter Apollon und Dionysos an.
Neuheidentum in Deutschland und Europa
Die deutsche Spätromantik versuchte, Jacob Grimms “Deutsche Mythologie” und Johann Gottfried Herders Idee eines “Volksgeistes” zu rekonstruieren, was zur Entwicklung eines “teutonischen Heidentums” führte. Parallel dazu entstanden im slawischen Raum die Rodnoverei-Bewegung und im baltischen Raum die Romuva-Kirche. Auch in Skandinavien konzentrierte sich die Nationalromantik auf vorchristliche Überlieferungen wie die finnische Kalevala, was neopaganistische Tendenzen verstärkte.
Staatliche Förderung und kulturelle Wiederentdeckungen
Die Wiederentdeckung vorchristlicher Traditionen wurde durch die staatliche Förderung einer neuromantischen Heimatkultur unterstützt. Dies zeigte sich besonders in der Populär- und Volkskultur, wo Faschings- und Fasnetsbräuche wiederbelebt wurden, die im späten 19. und 20. Jahrhundert neu interpretiert wurden. Bewegungen wie der Jugendstil und die Lebensreformbewegung griffen angeblich vorchristliche Überlieferungen auf und integrierten sie in ihre Praktiken, wie beispielsweise bei Ludwig Fahrenkrog.
Die Wiederentdeckung des Neuheidentums im 18. und 19. Jahrhundert stellte eine bedeutende kulturelle Bewegung dar, die die sozialen und kulturellen Strukturen Europas nachhaltig beeinflusste. Diese Bewegung, geprägt von Romantik, Mythologie und Okkultismus, hinterließ tiefe Spuren in der europäischen Geschichte und zeigt die anhaltende Bedeutung und Wandelbarkeit religiöser und kultureller Traditionen.