Ein moralisches Dilemma: Die Schweizer Kirchen stehen vor der Herausforderung, Gläubigen auf ihrem letzten Weg beizustehen.
Die Schweiz, ein Land, in dem die Sterbehilfe fest etabliert ist, erlebt einen bemerkenswerten Glaubenswandel in den Kirchen. Die römisch-katholische Seelsorgerin Susanne Altoè hält das Leben für heilig. Doch in ihrer Rolle hat sie oft die Aufgabe, Menschen auf ihrem Weg in die Sterbehilfe zu begleiten. Das mag paradox erscheinen, aber es ist ein Beispiel für den erheblichen Wandel im Glauben und in der Haltung der Kirchen zur Sterbehilfe.
Ein berührendes Beispiel ist eine ältere Dame mit Demenz, die sich für einen assistierten Suizid entschied. Kurz vor ihrem Termin mit Exit äußerte sie ihre Angst, nicht auf einem kirchlichen Friedhof begraben zu werden. Doch Susanne Altoè versicherte ihr, dass die Pfarrei nicht über die Art ihres Todes informiert wird und dass Gott ihre Not erkennt, die sie zu diesem Schritt geführt hat.
Die Rolle der Seelsorge hat sich im Laufe der Zeit verändert. Für Altoè bedeutet Seelsorge, bei den Menschen zu sein, nicht über sie zu urteilen. Die Ängste und Sorgen von Patienten und Heimbewohnern am Ende ihres Lebens müssen angesprochen werden, und die Seelsorgerin tut dies einfühlsam.
Dennoch gibt es Grenzen, die die Seelsorge nicht überschreitet. Wenn der Patient das Gift schluckt, verlässt Altoè den Raum. Der assistierte Suizid ist ein aktiver Eingriff, der darauf abzielt, das Leben zu beenden, und das kann als gewaltsam empfunden werden. Viele, einschließlich Angehörige, Pflegekräfte und Seelsorger, stoßen an ihre moralischen und emotionalen Grenzen.
Interessanterweise schreibt die römisch-katholische Kirche ihren Seelsorgenden vor, das Zimmer bei einem Suizidakt physisch zu verlassen. Dies steht in der Orientierungshilfe der Schweizer Bischofskonferenz. Die Kirche betrachtet den assistierten Suizid als “moralisch falsche Handlung” und hofft, dass der Wunsch nach dem Tod in einen Lebenswunsch umgewandelt wird.
Die katholische und die evangelische Landeskirchen hingegen befürworten eine Begleitung bis zum Tod, und dieser Wandel in der Haltung der Kirchen kam nicht ohne Widerstand.
Erst vor sechs Jahren begann dieser offene Umgang mit dem Thema. Die Waadtländer reformierte Kirche erlaubte 2017 als erste Kantonalkirche die explizite Begleitung von Suizidwilligen, gefolgt von der reformierten Landeskirche Bern Jura Solothurn im Jahr darauf. Diese Entscheidungen führten zu heftigen Diskussionen und Ängsten vor einem Dammbruch.
Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge an der Universität Bern, erklärte, dass die Befürchtung bestand, ältere Menschen könnten sich unter Druck gesetzt fühlen, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Doch schließlich erkannten die Kirchen, dass sie sich dem gesellschaftlichen Wandel nicht entziehen können. Die Begleitung von Menschen am Lebensende erfordert eine Auseinandersetzung mit dem assistierten Suizid, auch wenn dies für Seelsorgende nach wie vor ein Balanceakt ist.
Die Schweizer Kirchen befinden sich inmitten eines bemerkenswerten Glaubenswandels, wenn es um die Sterbehilfe geht. Der Wandel von der Ablehnung zur Begleitung von Suizidwilligen ist ein Spiegelbild der sich verändernden gesellschaftlichen Normen und der Notwendigkeit, sich den Bedürfnissen der Menschen anzupassen, die am Ende ihres Lebens stehen. Es ist ein Balanceakt zwischen Glauben und Mitgefühl, den die Kirchen navigieren müssen, um ihren Mitgliedern in ihrer letzten Lebensphase beizustehen.