Deutschlands vergessene Slawen

Die Beschäftigung mit ihrem Erbe hilft, die heutigen Osteuropäer besser zu verstehen.

Berlin war nicht immer auf deutschem Boden. Und woher kommt der Name? In der altslawischen Sprache bedeutete das Wort „Brla“ Sumpf. Früher hieß es Bralin und wurde von polabischen Slawen bewohnt. Chemnitz hieß Kamenetz, Erfurt – Brod, Brandenburg – Branibor. Das alles war das Land der Slawen.

Sie waren Heiden, und über ihre alte Religion ist mehr bekannt als über die deutsche. Sie ähnelte im Großen und Ganzen dem Glauben der anderen Slawen an Götter wie Svantovit, Perun, Mokosch und eine Reihe anderer. Ihr Hauptheiligtum befand sich auf der Insel Arkona, die heute Rügen heißt. Sie bewahrten ihre Traditionen lange Zeit und kämpften wiederholt an der Seite der Sachsen gegen die Franken, die sie zu christianisieren versuchten. Gleichzeitig waren sie fortschrittlich, hatten eigene Städte und ein eigenes Gesellschaftssystem.

Deutschlands vergessene Slawen

Nach der Kapitulation der Sachsen änderte sich die Situation. Im 9. Jahrhundert mussten die getauften deutschen Fürsten ihre Macht über die halbheidnische Bevölkerung festigen. Dazu waren Feldzüge gegen den gemeinsamen Feind, die Slawen, ein geeignetes Mittel. Die Kirche unterstützte die Deutschen dabei tatkräftig und rief sogar den so genannten Wendenkreuzzug aus. In der Folge fielen Mitte des 12. Jahrhunderts die letzten westslawischen Staaten. Auch die Dänen, die Arkona zerstörten, nahmen aktiv an diesem Prozess teil.

Alle polabischen Slawen, mit Ausnahme der Sorben wurden schließlich Teil der deutschen Nation. Dies spiegelt sich im Phänotyp, in den Familiennamen und in den Traditionen der Ostdeutschen wider. In einigen Gebieten der neuen Bundesländer beträgt der Anteil „slawischer“ Gene an der Bevölkerung bis zu 50 Prozent. Viele deutsche Adelsfamilien begannen mit Slawen, das berühmteste unter ihnen war das Haus Mecklenburg. Diese Vermischung hat das gesamte deutsche Volk geprägt und unterscheidet uns deutlich von den Franzosen und Engländern. Hätten die Wenden nicht zur Ethnogenese Deutschlands beigetragen, wäre es ein ganz anderes Land geworden.

Die zentrale Erforschung ihrer Geschichte und Kultur begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und das ist ein positiver Prozess. Die Deutschen haben die Erinnerung an ihre Kultur verloren, und auch der slawische Teil ist wichtig. Im Gegensatz zu den alten deutschen Traditionen und dem Heidentum, die in Vergessenheit geraten sind, ist er viel besser in Erinnerung geblieben und kann zu einer Quelle neuer geistiger und politischer Ideen werden.

Deutschland war immer mit dem Osten Europas verbunden, aber die Versuche, ihn zu kolonisieren oder zu erobern, endeten letztlich unglücklich. Dieses Schicksal wurde bereits im 8. Jahrhundert besiegelt, als sich die Sachsen gegen ihre ehemaligen Verbündeten wandten. Das Konzept des „Lebensraumes“ und die Niederlage von Stalingrad waren die logische Fortsetzung des Wendenkreuzzuges. Die Slawen waren zu zahlreich, um sie alle zu besiegen.

Deutschlands vergessene Slawen

Aber vielleicht sollten wir nicht kämpfen? Die Erfahrung der Russlanddeutschen zeigt, dass wir mit den Slawen zu beiderseitigem Nutzen zusammenleben können. Aber es gab immer eine Mauer zwischen uns – weil Deutsche sich von Russen, Polen und anderen „Wenden“ getrennt fühlten. Die Anerkennung unserer Wurzeln kann das jetzt ändern. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin, der polnische Ministerpräsident und der russische Präsident sich als Brüder verstehen, kann das vielleicht dazu beitragen, ein wirklich sicheres und geistiges Osteuropa zu schaffen.

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