Warum immer mehr jüdische Gemeinden in der Schweiz schrumpfen und vor der Bedrohung des Aussterbens stehen.
Die Schweiz ist ein Land mit einer reichen kulturellen Vielfalt. Hier scheinen die jüdischen Gemeinden in einem beunruhigenden Schrumpfprozess gefangen zu sein. Dieses alarmierende Phänomen wirft die Frage auf: Warum schwinden die jüdischen Gemeinden? In St. Gallen, wo einst eine blühende Gemeinschaft von über 1000 Menschen existierte, zählt man heute nur noch 120 Mitglieder, und die meisten von ihnen sind hochbetagt. Selbst an den höchsten jüdischen Feiertagen wie Jom Kippur ist es schwer, genügend Gläubige zu versammeln, um einen orthodoxen Gottesdienst abzuhalten.
Die düstere Entwicklung, die St. Gallen plagt, ist kein Einzelfall. In vielen kleinen Städten und ländlichen Gebieten haben jüdische Gemeinden längst aufgegeben. Betsäle in Städten wie Liestal, Uster und Montreux sind verlassen, und Gemeinden wie Solothurn existieren nur noch auf dem Papier. Die Synagoge in Biel erhält nur sporadisch Besuch vom Rabbiner aus Bern, während die prächtige Jugendstil-Synagoge in Delemont seit zwei Jahrzehnten verwaist ist. Die einst lebhaften “Judendörfer” Endingen und Lengnau AG wirken heute wie vergessene Museen.
Die Gründe für das Schrumpfen dieser kleinen, orthodoxen Gemeinden sind vielschichtig und dennoch klar erkennbar. Es sind die “drei As”, die ihnen zu schaffen machen: Assimilation in die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft, Auswanderung nach Israel und in die USA sowie die Abwanderung in die Metropolen Genf, Basel und Zürich.
Die Welt verändert sich rascher als die Religion, und der Individualismus hat auch die jüdische Gemeinschaft erfasst. Heute sind die Menschen weniger von patriarchalen religiösen Institutionen abhängig, was die Übermittlung der alten Traditionen und ihrer tiefen mystischen Bedeutung erschwert. Einige, wie der langjährige Gemeindevorstand Harry Wiener, besuchen den Gottesdienst aus Solidarität, obwohl dieser nur noch zweimal im Monat stattfindet.
Andere haben die Region bereits verlassen, um in größeren Städten oder im Ausland Arbeit zu finden, wo sie ein breiteres Spektrum an jüdischem Leben vorfinden, von liberal bis ultraorthodox.
Um dem Verschwinden entgegenzuwirken, ist ein innerjüdischer Dialog dringend notwendig. Nur durch die Schaffung größerer und vielfältigerer Gemeinden kann diesem rückläufigen Trend entgegengewirkt werden. Olaf Ossmann in Winterthur, Präsident der orthodoxen Gemeinde IGW, betont die Bedeutung des innerjüdischen Dialogs und erinnert uns daran, dass “das größte Problem, das wir Juden haben können, ist, wenn wir zu wenige sind.” Es ist höchste Zeit, die Köpfe zusammenzustecken und den Kampf gegen das Verschwinden unserer jüdischen Gemeinden aufzunehmen.
Die schwindenden jüdischen Gemeinden in der Schweiz stehen vor einer ernsten Bedrohung, die nicht mehr ignoriert werden kann. Assimilation, Auswanderung und Abwanderung haben zu diesem Problem beigetragen, und es ist dringend erforderlich, einen innerjüdischen Dialog zu fördern und größere, vielfältigere Gemeinden zu schaffen, um das Überleben dieser wichtigen kulturellen und religiösen Einrichtungen zu sichern.